Sollten Arbeiterkinder im Diversity Management Berücksichtigung finden?

In Deutschland gilt: Unabhängig von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität soll jede und jeder die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhalten. Abgesehen davon, dass dieses im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankerte Versprechen an der Realität vieler Menschen mit diesen Merkmalen vorbeigeht, klammert es eine weitere Gesellschaftsgruppe aus: Arbeiterkinder – eine schwammige Bezeichnung, beschreibt sie doch keine homogene, in rußbedeckten Häusern lebende Arbeiterklasse, sondern eine ausdifferenzierte Schicht an prekär Beschäftigten. Trotzdem bietet sich der Begriff an, um das entscheidende Fehlen eines akademischen Hintergrundes zu unterstreichen.

Benachteiligung im Studium und im Beruf

Noch immer ist die sogenannte Bildungsmobilität in Deutschland relativ gering: Nur 12 Prozent der Personen, die in einem nicht-akademischen Haushalt aufgewachsen sind, entscheiden sich nach der Schule für eine Ausbildung statt einen akademischen Bildungsweg [1].
Dieser Entschluss wird oftmals durch die Eltern beeinflusst, die weder selbst eine Universität besucht haben noch jemanden aus dem akademischen Umfeld kennen. Die mangelnden Erfahrungswerte und Berührungspunkte führen dazu, dass die Kosten für das Studium überschätzt, Finanzierungsmöglichkeiten nicht berücksichtigt und die Jobaussichten, vor allem bei geisteswissenschaftlichen Fächern, als zu gering eingeschätzt werden. Die Frage „Was kannst du dann später damit anfangen?“ geht einher mit einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber der akademischen Laufbahn.
Neben dem ökonomischen stellt aber auch das kulturelle Kapital in Form fehlender politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Kenntnisse und ein daraus resultierendes Minderwertigkeitsgefühl eine potentielle Hürde für die Aufnahme eines Studiums dar oder kann ausschlaggebend für einen Studiennabbruch sein.

Konsequenterweise fällt die Zahl von Arbeiterkindern in akademischen Berufen gering aus, ganz zu schweigen von der Aussicht auf beruflichen Aufstieg: Eine Studie von Paul Ingram und Jean Oh aus dem Jahr 2020 hat gezeigt, dass US-Amerikaner aus sozial unterprivilegierten Milieus um 32 Prozent seltener in Managerpositionen gelangen als Menschen aus höheren sozialen Schichten[2]. Ein Phänomen, das in allen großen (westlichen) Volkswirtschaften zu beobachten sei.

Arbeiterkinder als Teil des Diversity Managements

Um diese Benachteiligungen von Arbeiterkindern auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen ist ein frühzeitiges Gegensteuern und Aufklärung bereits im jungen Alter notwendig. Aufklärungsangebote und Bildungsmaßnahmen sollen sicherstellen, dass die Entscheidung für oder gegen ein Studium auf Grundlage realistischer Einschätzungen getroffen wird. So setzen Organisationen wie ArbeiterKind.de daher schon in der Schule an und informieren über Finanzierungsmöglichkeiten im Studium, berichten aber auch über den Studienalltag, den sie selbst als Kinder aus Arbeiterfamilien erlebt haben.

Zusätzlich muss eine weitere Maßnahme ergriffen werden, um die derzeit bestehenden Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt ins Lot zu bringen: Die soziale Herkunft muss auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und folglich im Diversity Management von Unternehmen Berücksichtigung finden. Der strukturellen Benachteiligung würde somit entgegengewirkt und die Unternehmen um wichtige Perspektiven bereichert werden, besonders in Branchen, in denen sich Mitarbeitende innerhalb akademischer und nicht-akademischer Milieus bewegen. Die Erweiterung des Diversitätsverständnisses durch die soziale Herkunft kann langfristig dazu beitragen, dass auf der einen Seite einer blinden Elitenfeindlichkeit das Wasser abgetragen und auf der anderen Seite das Verständnis für ungleiche Startbedingungen und die Wechselwirkungen von Geschlecht, sozialer Herkunft und Ethnie gesteigert wird.

Doch wie könnte die konkrete Umsetzung einer solchen Diversitätsstrategie im Bewerbungsprozess aussehen? Anders als beispielsweise beim Alter oder Geschlecht ist die soziale Herkunft in einem Vorstellungsgespräch nicht durch äußerliche Merkmale ersichtlich, ebenso wenig wie die sexuelle Orientierung. Trotzdem wird letzteres richtigerweise von vielen Unternehmen berücksichtigt. Statt also „harter Kriterien“, wie dem Einkommen und Vermögen der Eltern, muss den Bewerbenden ein gewisser Vertrauensvorschuss entgegengebracht werden, wenn sie angeben, aus einer Arbeiterfamilie zu stammen.

Die Integration der sozialen Herkunft in das Diversity Management wäre ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Chancengleichheit in diesem Land.


[1] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schneller-schlau/sozialer-aufstieg-wenn-die-eltern-nicht-studiert-haben-16960036.html

[2] https://www.manager-magazin.de/harvard/strategie/diversity-warum-die-soziale-herkunft-wichtig-ist-a-34cc278c-0002-0001-0000-000176140190

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