Die älteste noch existierende Buchhandlung in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf blickt mit Zuversicht in die Zukunft

Ruhig und souverän: Der lesende Löwe

Der Löwe schlägt die Beine übereinander, hält ein Buch zwischen seinen Tatzen und strahlt eine königliche Gelassenheit aus. Das Firmensignet der Marga Schoeller Bücherstube hängt über dem großen Schaufenster der ältesten noch existierenden Buchhandlung in Charlottenburg-Wilmersdorf und begrüßt jede Person, die die Buchhandlung betritt. Drinnen: Der Geruch frisch gedruckter Bücher, ein überwältigendes Meer aus bunten Bindungen. Mitten drin und mit Maske steht Ruth Klinkenberg: „Heute waren es 70 Kunden, was nicht schlecht ist für diese Jahreszeit“, befindet die Geschäftsführerin, die den Laden seit 1979 leitet.

Die Touristen blieben zur Zeit zwar aus, doch komme es auch in Coronazeiten vor, dass die Menschen draußen anstünden. Dies sei dem Standort Berlin zu verdanken, der viele kulturaffine und lesefreudige Menschen anzöge, aber auch dem Sonderstatus der Buchhandlungen in Pandemiezeiten – gemäß Senatsbeschluss gehören die „geistigen Tankstellen“ zur Grundversorgung.

Existenzielle Umbrüche

Der 1929 von der damals 24-Jährigen Marga Schoeller gegründete Laden ist einer der wenigen, die auf dieser Straße bis heute überlebt hat, und die älteste noch existierende Buchhandlung in Charlottenburg-Wilmersdorf, in der Autoren wie Bertolt Brecht, Erich Kästner oder Aldous Huxley ein und aus gingen. Dabei sah sich das Unternehmen in seiner mehr als 90-jährigen Geschichte mehrmals politischen Umbrüchen gegenüber, die das Aus hätten bedeuten können und doch gemeistert wurden.

Unter der Nazidiktatur verkaufte Marga Schoeller Bilder eines bekannten Malers von Pferdeporträts, da sich der Bücherverkauf als schwierig gestaltete. Viele der angebotenen Bücher wurden verboten, lediglich im geheimen Keller gab es Exemplare für vertrauenswürdige Kunden. Auch nach Kriegsende waren Bücher rar. Die Einkaufs- und Auslieferungsfahrten innerhalb der Stadt erledigte Marga Schoeller mit dem Fahrrad selbst. Nach der Wiedervereinigung machten große Buchhandelsketten Konkurrenz und leiteten den langsamen jedoch steten Rückgang der Besucherzahlen ein.

Ruth Klinkenberg im Büchermeer

Insbesondere setzte aber das Internet dem kleinen Geschäft und der gesamten Branche zu: Nach Einschätzung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gingen allein 2014 circa 150 Buchläden bundesweit pleite[1]. „Den Internethandel gab es auch schon vor Amazon, aber nicht in diesem Ausmaß“, erinnert sich Klinkenberg, die selbst nie ein Buch im Internet bestelllen würde. Warum andere im Internet einkaufen? „Ich glaube, es ist Bequemlichkeit, dabei sind die Preise die gleichen.“

Zwar sei ihr vor circa zehn Jahren in Bezug auf das Geschäft die Zuversicht etwas schwinden gegangen, doch habe sich das Anwachsen des Online-Handels dann doch als weniger schnell und stark herausgestellt. 2016 wuchs die Branche sogar wieder um e,

in Prozent[2]. Auch Ruth Klinkenberg habe hin und wieder einen leichten Rückwärtstrend beobachtet, den sie unter anderem auf ein gestiegenes Bewusstsein für die Bedeutung des stationären Einzelhandels und auf die zunehmende Kritik gegenüber Amazon, das keine Steuern zahle und trotzdem die hiesige Infrastruktur nutze, zurückführt.

Bis heute sich treu geblieben

Sitzmöglichkeiten zum Probelesen,
wäre da nicht die Pandemie

Angesichts der Internetkonkurrenz hat die Marga Schoeller Bücherstube, wie fast jede Buchhandlung, einen Online-Katalog eingerichtet, ist sich aber in sonstiger Hinsicht treu geblieben: Keine Bestsellerlisten, keine „non-book-Artikel“, dafür ein breites und anspruchsvolles Sortiment. Die Bücher sind nicht in Folie geschweißt, wollen von Besuchern in einem der fünf Räume in die Hand genommen und probegelesen werden. „Wir wollen keine anonyme Atmosphäre, sondern bieten eine Willkommenskultur“, erklärt Klinkenberg, deren Mitarbeiter:innen mit den Besuchenden ins Gespräch kommen, Hinweise geben, jedoch auch offen für Lesetipps sind. Beim Onlineshopping würden lediglich ähnliche Buchtitel aufgrund des Algorithmus angezeigt werden und sei der Such- und Kaufprozess anonymisiert.

Die 73-Jährige blickt optimistisch in die Zukunft: Schon 2017 hat der Unternehmer Florian Schoeller, der zufällig bei einem Besuch die familiäre Verbindung zur Gründerin Marga Schoeller entdeckte, alle Geschäftsanteile erworben. Damit ist das Weiterbestehen der GmbH zunächst gesichert, eine Übernahme durch eine Buchhandelskette hält Klinkenberg für unwahrscheinlich: „Wir sind zu wenig stromlinienförmig und wirtschaftlich nicht attraktiv genug.“

Der lesende Löwe wird also auch weiterhin die Besucher begrüßen. Er hat mehrere politische und wirtschaftliche Umbrüche miterlebt. So schnell lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen.


[1] Welt, 2016, Das langsame Sterben der deutschen Buchläden: https://www.welt.de/wirtschaft/article153578156/Das-langsame-Sterben-der-deutschen-Buchlaeden.html

[2] IHK, 2018, Buchhandel auf neuen Wegen: https://www.ihk-berlin.de/presse/zeitschrift-berliner-wirtschaft/berliner-wirtschaft-archiv/berliner-wirtschaft-2018/berliner-wirtschaft-04-2018/buchhandel-auf-neuen-wegen-4026678

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