Die Veröffentlichung von Sahra Wagenknechts Buch „Die Selbstgerechten“ offenbart: Es geht nicht nur um die Zukunft der Partei, sondern auch um ihre Zukunft in der Partei.

Sahra Wagenknecht ist eine umstrittene Person, an der sich die linken Geister scheiden. Für die einen ist sie mit ihrer Kritik an offenen Grenzen und Gendern eine Persona non grata, für die anderen ist sie die Rebellin, die sich keinen Maulkorb aufsetzen lässt. Die Kritik an ihr ist nicht neu, gipfelte nun aber in zwei Parteiausschlussanträgen in Reaktion auf ihr vor Kurzem veröffentliches Buch „Die Selbstgerechten“.

Schmücken mit roten Federn

Die zentrale Aussage des Buches: Ein Teil der Linken, die in ihren Worten „Lifestyle-Linke“, die Wagenknecht nicht nur auf Mitglieder einer bestimmten Partei beschränkt, sei im Kern nicht links, sondern habe sich mit neoliberalen Grundwerten gemein gemacht. Damit sei sie zum eigenen Milieu geworden, mit eigenen Interessen und eigenen Abgrenzungsbestrebungen. Gemeint ist ein urbanes, linksgesinntes Akademikermilieu, das nach Wagenknechts Analyse mit seinem selbstgerechten Habitus für die Entfremdung zwischen linker Politik und der Arbeiterschicht verantwortlich sei.
Das Schmücken mit roten Federn werde vor allem deutlich in der Identitätspolitik: Auffallend viele an einer Hochschule kulturell und politisch sozialisierte und linksgerichtete Menschen würden sich vor allem über ihre Zugehörigkeit zu einer sexuellen, ethnischen oder anderen Minderheit definieren und versuchen auf die Diskriminierung dieser Minderheiten aufmerksam zu machen, indem unter anderem die sprachliche Sensibilität – beispielsweise in Form von gendergerechter und anti-rassistischer Sprache – vorangetrieben wird.

Dieser identitätspolitische Fokus und die damit einhergehenden Forderungen würden jedoch ökonomische Strukturen außer Acht lassen und an der Realität vieler Nicht-Akademiker vorbeigehen bzw. die Probleme der „einfachen Leute“ ignorieren. Als eindringliches Beispiel nennt Wagenknecht die Namensänderung einer Sauce eines bekannten Lebensmittelherstellers. Der Saucentitel, der dafür kritisiert wurde, die Gemeinschaft der Sinti und Roma zu diffamieren und rassistisch zu sein, wich einer alternativen Bezeichnung und beinhaltete fortan ein osteuropäisches Land. Wagenknecht verweist jedoch darauf, dass in der hitzigen Rassismus-Diskussion um die Namensänderung untergegangen sei, dass ungefähr zur gleichen Zeit den Mitarbeiter:innen des Lebensmittelherstellers ein Tarifvertrag mit schlechteren Konditionen  aufgedrückt wurde[1].

Parteiausschlussverfahren: Lang und zäh

Die parteiinterne Antwort auf die von Wagenknecht schon länger ausgeführten Stiche gegen das eigene Lager ist ein Parteiausschlussverfahren, das zwei Anträge gegen sie bündelt.
Doch wie realistisch ist ein solches Verfahren? Um ein Parteimitglied auszuschließen, muss ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Satzung, die Grundsätze oder die Ordnung der Partei vorliegen, mit der die zu exkommunizierende Person der Partei großen Schaden zufügt[2].
Ist das bei Sahra Wagenknecht der Fall? Offensichtlich stellt sie sich in bestimmten Punkten öffentlich gegen die Grundsätze der eigenen Partei, z. B. beim Thema Migration[3]. Wie groß der dadurch entstandende Schaden für die Partei ist, bleibt umstritten: Während die Antragsteller:innen des Parteiausschlusses einen Verlust von 30 Prozent der Wählerstimmen und von über 100 Mitgliedern seit der Kür Wagneknechts zur Spitzenkandidatin beklagen[4], sieht sich diese die durch den ihr zukommenden Zuspruch bestätigt.

Wie zäh und lang ein Parteiausschlussverfahren sein kann und mit welchen Schäden bei Misserfolg des Antrags zu rechnen ist, zeigt das Beispiel Thilo Sarrazin: Insgesamt hat es drei Anläufe und circa zehn Jahre gebraucht, um ein zunächst erfolgreiches Ausschlussverfahren gegen den umstrittenen SPD-Politiker Thilo Sarrazin zu erreichen. Dieser war unter anderem mit sehr umstrittenen Äußerungen über türkisch- und arabisch-stämmige Menschen in Deutschland in die Kritik geraten. Der Vorwurf: Islamophobie und Rassismus. Trotz der offensichtlichen Nähe zu rechten Positionen gestaltete sich der Parteiausschluss von Sarrazin schwierig[5]. Dass sich die parteiinternen Kritiker:innen mit einem Ausschluss des ehemaligen Berliner Finanzsenators lange nicht durchsetzen konnten, kostete die SPD nicht nur Ansehen, sondern auch Mitglieder.

Es geht nicht um Versöhnung

Feststeht, dass der Versuch, die beliebte Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht aus der Partei zu werfen, zusätzlichen Schaden für das Image der Partei anrichtet – das kurz vor der Bundestagswahl. Der angestrengte Rauswurf ist lediglich Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Teilen der Linken Intoleranz und rigorosen Moralismus vorwerfen, und bestätigt These Wagenknechts von Pauschalisierungstendenzen und Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen innerhalb der „Lifestyle-Linken“. Sie selbst ist im Nachgang der Buchveröffentlichung bemüht, Pauschalisierungen zu verhindern: „Einige scheinen großen Wert darauf zu legen, meine Thesen durch ihr Vorgehen zu bestätigen. Allerdings sind das Einzelne, von weit mehr Linke-Mitgliedern und -Wählern bekomme ich gerade Unterstützung und Solidarität“, erklärt die ehemalige Linke-Parteivorsitzende in der „Welt“.

Das klingt jedoch halbherzig. Das durch sie entfachte Lauffeuer kann durch solche Aussagen jedenfalls nicht verlangsamt oder gar verhindert werden. Soll es wahrscheinlich auch nicht: Als ehemalige Parteivorsitzende hätte Wagenknecht die Folgen und Reaktionen ihrer Publikation in den eigenen Reihen abschätzen können. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung lässt erahnen, dass es Wagenknecht weniger um Versöhnung geht als um den finalen Richtungskampf der Linkspartei. Die Kollateralschäden, die sie in Kauf nimmt, weisen außerdem darauf hin, dass sie ihre Zukunft möglicherweise nicht in der Partei sieht. Die Linke bekommt vielleicht schon bald Konkurrenz.


[1] https://www.faz.net/aktuell/stil/essen-trinken/debatte-um-rassismus-knorr-benennt-zigeunersauce-um-16907310.html

[2] https://www.gesetze-im-internet.de/partg/__10.html

[3] https://taz.de/Kritik-an-Wagenknechts-Migrationsthesen/!5504172/

[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sahra-wagenknecht-linken-mitglieder-beantragen-parteiausschlussverfahren-a-3485531b-209d-49fc-84d8-ea857b985343

[5] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/thilo-sarrazin-spd-schiedskommission-bestaetigt-parteiausschluss-a-5cae0d42-2e2b-4a7c-99f7-ddc4d920932a

Eine Meinung zu “Der finale Richtungskampf

  1. Interessante Analyse! Wagenknecht hat bereits mit ihrer Bewegung „Aufstehen“ gezeigt, dass sie ihr eigenes Süppchen kochen will. Es kommen noch spannende Zeiten auf die Linke zu…

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